Hochzeitskleid

Veröffentlicht am: Dienstag, 13. Mai 2008 von Redaktion in: Allgemein

Hochzeitskleid – Es war ein Traum: Mein selbsterdachtes Hochzeitskleid
Kein Kleid von der Stange – doch Nähen konnte ich leider nicht
Von Dorothea F. Voigtländer

Natürlich wollte ich einzigartig sein, ich wollte meinem Liebsten und mir und den anderen gefallen, das Kleid für unsere Hochzeit sollte zu mir passen, und darum machte ich die Tour durch fast alle Hochzeitsgeschäfte in Bonn, Köln und Düsseldorf. Meine Mutter wurde immer nervöser. Die Tage wurden immer aufgeregter, der Termin meiner Hochzeit in weiß rückte näher. Die ganze Familie stand Kopf. Alles war schon fertig geplant und vorbereitet: das Menü, die Gästeliste, die Einladungskarten waren verschickt, die Anzeige im Bonner General-Anzeiger war terminiert, der  Pfarrer wusste Bescheid und die Trauzeugen standen fest und hatten freudig zugesagt. Die Kleidchen der Engelchen waren genäht, mein kleiner Neffe freute sich auf seinen blauen Samtanzug mit Fliege.

Dieses Hochzeitskleid nach dem Muster des Kleides von Madame Récamier konnte ich noch zu vielen Festivitäten anziehen. Viele Jahre noch. Foto: privat

Dieses Hochzeitskleid nach dem Muster des Kleides von Madame Récamier konnte ich noch zu vielen Festivitäten anziehen. Viele Jahre noch. Foto: privat

Nur das Hochzeitskleid, das gab es noch nicht, obwohl meine Mutter und schließlich auch noch meine Schwester mich durch sämtliche Geschäfte schleppten, wo Hochzeitskleider zur großen Auswahl vor mir ausgebreitet wurden. „Zieh doch mal dieses Kleid an“, meinte meine Schwester Gitta mit hoffnungsvoller Stimme, „das ist doch ein Traum von einem Kleid“.

Ich erfüllte ihren Wunsch, und dann stand ich dort mit meiner ganzen Länge von 1.76 Meter Körpergröße in einem bauschigen, glitzernden Etwas, und ich sah aus wie ein riesiges Baiser. Da konnte auch meine Mutter nur resigniert mit dem Kopf schütteln.  Und auch meine Schwester Gittas seufzte und meinte: „Du siehst  fürchterlich aus“. Und nähen konnte ich nicht. Schon in der Schule hatte es Ärger gegeben, denn ich war in diesem Fach völlig unbegabt.
Also ein neues Modell musste her. Die Verkäuferin schlich schon völlig entnervt durch das Geschäft und zog mir dann ein zweiteiliges, enges, zweigeteiltes Kostüm über den Kopf, in dem ich aussah wie ein Riesenspargel. Jetzt stöhnten alle im Geschäft auf: „Das geht auch nicht“. Nun war allmählich guter Rat teuer. Mein Liebster sprach am Telefon schon von seinem Anzug mit Fliege, die erste in seinem Leben. Wir waren ja noch so jung. Meine Mutter meinte gar: „Zu jung zum Heiraten“. Plötzlich eine Stimme aus dem Hintergrund: „Jung gefreit, selten gereut“. Erstaunt drehten wir uns zu dieser sonoren Stimme herum. Da stand der Chef des Hauses, Herr Schneider, ein guter Bekannter meiner Mutter aus der „guten alten Zeit“, der uns nach dem Krieg die ersten Kinderkleider genäht hatte. Resigniert zeigte meine Mutter auf mich und die Kleider, die um mich herum hingen: „Sehen Sie selbst, nichts geht mehr“. Und sie sank erschöpft und genervt auf einen Stuhl. „Du bist aber auch groß geworden“, meinte Herr Schneider, der seinen Namen zu Recht trug, denn er war tatsächlich auch ein  hervorragender Schneider. „Was sollen wir mit Dir denn nun machen? Hast Du nicht irgendwo einmal ein Kleid gesehen, das Du ganz toll findest?“, fragte er mich. Alles wurde ganz still. Ich überlegte. Dann kam es wie ein Blitzstrahl: „Ja, ich möchte ein Kleid wie Madame de Récamier, so, wie sie es auf der Récamière trägt, ein Empirekleid aus weißem Georgettestoff und oben unter der Büste eine Schleife, die sich öffnet und in einer sanften Falte bis zum Boden gleitet, mit weiß glitzernden Perlen im Oberteil bestickt, ein runder Ausschnitt, ja, das war es, das konnte ich wagen.

Hochzeitskleid

Das Vorbild meines Hochzeitskleides ist dieses Bild mit dem entzückenden Empirekleide von Madame de Récamier – par Gérard; Cl.Giraudon – Musée du Louvre

Niemand sagte ein Wort. Alle hatten aufmerksam zugehört. Doch eine Verkäuferin meinte: „Aber so etwas ist doch jetzt keine Mode“. Recht hatte sie. Doch Herr Schneider starrte wie gebannt in die Ferne, er dachte angestrengt nach, dann nahm er stillschweigend Maß und schrieb die Zahlen auf seinen kleinen Papierblock. Er murmelte vor sich hin, sah mich aufmerksam an und  schaute mir recht tief in die Augen und meinte: „Das ist es. Wie viel Zeit bleibt mir noch?“

„Fünf Tage“, flüsterte meine Mutter gramgebeugt, sie wagte es nicht, dem armen Herrn Schneider in die Augen zu sehen. Doch Herr Schneider schien wie elektrisiert. „Also jetzt  streiche ich meine Schlafenszeit, für ein Traumkleid Ihrer Tochter ist mir nichts zu viel“. Sprach es und eilte davon. „Ich will in den nächsten Tagen nicht gestört werden“, rief er noch in das Geschäft hinein, Änderungen kann ich jetzt keine mehr annehmen.“

Einen Tag vor der Hochzeit klingelte das Telefon. Herr Schneider: „Das Kleid ist fertig, bitte anprobieren. Sofort“. Eine erfrischende Dusche und weg war ich. Meine Schwester lief mit mir. Mutter blieb zu Hause, sie hatte noch genug zu tun. Tja, und nun kam der feierliche Augenblick. Gleich auf den ersten Blick sahen meine Schwester und ich, dass dies das richtige Kleid war. Goldrichtig in weiß. Ein wunderschönes Kleid im Empirestil wie einstens zur Zeit Napoleon Bonapartes, wie zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Die Verkäuferinnen versammelten sich um uns herum, die Geschäftszeit war längst überzogen, morgen war die Hochzeit. Und gleich bei der ersten Anprobe war klar: Das Kleid war ideal, es passte wie angegossen, alle stöhnten erfreut auf und mein Herz schlug höher, denn ich wusste, darin würde ich meinem Liebsten mit Sicherheit gefallen. Herr Schneider strahlte. Er hatte das Kunststück vollbracht: das richtige Kleid für eine schwierige Braut! Und an den passenden Kopfschmuck hatte er auch gedacht. Er hatte eine Friseuse bestellt, die aus einem mädchenhaften Pferdeschwanz eine prachtvolle, aber nicht zu üppige Haarpracht schuf, ich erkannte mich selbst kaum wieder. „Toll“, sagte meine Schwester Gitta, und das war das höchste Lob, das ich erhalten konnte.
Herr Schneider war natürlich beim Hochzeitsempfang der Ehrengast. Mein Bräutigam überschüttete ihn mit Lob und sah mir immerzu verliebt in die Augen _ „Du bist die schönste Braut auf der ganzen Welt“, sagte er verliebt zu mir und das sagte er auch zu unserem 40. Hochzeitstag, als unsere Kinder und Enkelkinder um uns herumstanden für das Erinnerungsfoto. Nur diesmal war das Kleid nicht in weißem Georgettestoff, sondern fliederfarben. Doch alle wollten noch mal mein „richtiges“ Hochzeitskleid bestaunen, das mir aber leider etwas zu eng geworden war. Ich hatte es aufgehoben, frisch gereinigt noch von damals – mein Lieblingskleid für immer.
Bei der Hochzeitsfeier fragte dann viele nach dem Ursprung des Kleides: „Wie bist Du darauf gekommen, wer ist diese Madame de Récamier?“

Hochzeitskleid

So sah mein Hochzeitskleid aus, meinem Bräutigam gefiel ich nach diesem Modell von vor über 150 Jahren. Foto: privat

Nun, bei meinen Studien in Paris kommt man nicht an ihr vorbei und an den Bildern des berühmten Malers Jacques-Louis David, der auch der Hofmalermaler von Napoleon Bonaparte war. Im königlichen Schloss von Versailles und vor allem im Louvre sind seine Kunstwerke zu bewundern. Da war die schöne Salondame Jeanne Francoise Julie Adélaide de Récamier keine Ausnahme. Er malte sie sitzend und auch halb liegend auf der nach ihr benannten Récamière, Bilder, die auch im Internet bei Wikipedia zu finden und im Louvre in Paris im Original zu bewundern sind, wie auch viele andere Kunstwerke mit diesem wunderschönen Modell: Madame de Recamiér.
Diese berühmte Salondame war eine enge Freundin der Schriftstellerin Madame de Stael. Sie wurde am 4. 12. 1777 in Lyon geboren, hieß mit Mädchenname Bernard,  und sie heiratete den Pariser Bankier de Récamier. Berühmt wurde diese wunderschöne Frau nicht nur durch ihre aufsehenerregende Garderobe, berühmt wurde sie mit ihrem literarisch-politischen Salon. Allerdings war mein Hochzeitskleid nach ihrem Vorbild nicht gar so großzügig ausgeschnitten, aber die Bilder über sie waren mir nie aus dem Kopf gegangen. Die Inspiration für ein passendes Hochzeitskleid kam von ihr: Madame de Récamier!

2 Kommentare

  1. tina 16. Juli 2009 um 21:35

    Hallo liebe Autorin,

    wollte nur sagen, dass dies ein ganz wundervolle Artikel ist…

    Viele Grüße

    tina

  2. hans 19. August 2012 um 12:19

    Schoener Text! Eine schoene Geschichte!

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